Schindlers Arche

Projektdaten

StatusNominierung
KategorieNachwuchs
Art der ArbeitMasterarbeit, Entwurf
BetreuerInProf. Dr. phil. habil. Klaus Jan Philipp
PrüferInProf. Dipl. Ing. Markus Allmann
BearbeiterInWencke Deitermann, Luxin Yu
Studiengang/HochschuleUniversität Stuttgart, Architektur und Stadtplanung

Die Textilfabrik der Familie Löw-Beer wurde im 19. Jahrhundert gegründet und konzentrierte sich hauptsächlich auf die Herstellung von Textilien. Die Familie Löw-Beer war eine der bedeutendsten Unternehmerfamilien in der Tschechischen Republik. Ihre Textilfabrik wurde zu einem der größten Arbeitgeber und trug zum Wohlstand und zur Entwicklung Brünns und der Region bei.

Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Fabrik von den Nationalsozialisten besetzt.

Oskar Schindler hatte in den Jahren 1939 bis 1944 eine Emaille- und Munitionsfabrik bei Krakau. Aufgrund des Vormarsches der Roten Armee deportierte die SS den Großteil jüdischer Zwangsarbeiter*innen in Vernichtungslager. Daraufhin begann Schindler seine Rettungsaktion, indem er in Brünnlitz die Textilfabrik „aufkaufte“ und über 1200 seiner jüdischen Zwangsarbeiter*innen dorthin verlegen ließ. Das Ehepaar Schindler kaufte dort in Brünnlitz im Bezirk Zwittau, der Heimat Schindlers, die ehemalige Textilfabrik der Familie Löw-Beer. Durch Bestechungen, vor allem an den Lagerkommandanten des KZ Krakau-Plaszow, Amon Göth, gelang es Schindler, alle seine jüdischen Arbeiter-innen mit nach Brünnlitz zu nehmen.

Aufgrund der größeren Distanz des Arbeiterlagers Brünnlitz zu anderen KZs und dem KZ Groß- Rosen hatte dies einen großen Vorteil: spontane, unangekündigte Kontrollbesuche durch Mitarbeiter-innen der Inspektion der Konzentrationslager blieben aus.

Gefangene aus dem nahegelegenen Konzentrationslager Groß-Rosen bauten die Außenstelle Brünnlitz mühsam auf. Das Lager war von einem hohen Zaun umgeben. Bis Mai 1945 wurde in dieser Fabrik „offiziell“ Kriegsmunition von den Schindler-Juden hergestellt. Am 25. Mai 1945 wurde das Lager von der Repatriierungskommission endgültig aufgelöst. Nach der Befreiung wurde die Firma Löw-Beer staatlich verwaltet. Im Jahre 1991 wurde die Aktiengesellschaft VITKA Brünnlitz gegründet, die größte Textilproduktion Europas zu damaliger Zeit. Diese produzierte für Firmen wie Skoda und Ikea. 2004 musste VITKA Konkurs anmelden und die Textilproduktion wurde eingestellt.

Danach wurde die Fabrik privatisiert und hat mehrfach den Besitzer gewechselt. Die letzten Besitzer plünderten die Fabrik und verkauften noch nutzbare Bauteile nach Pakistan.

Die Historie des Ortes soll durch eine museale Gedenkstätte aufgearbeitet werden. Sowohl die ehemalige Textilfabrik der Familie Löw Beer, als auch die darauffolgende Besetzung im Nationalsozialismus sollen im Rahmen der Gedenkstätte dargestellt und erlebbar gemacht werden. In den ehemaligen Industriehallen der 1960er Jahre wird die frühere Bedeutung der Textilindustrie dieses Ortes wieder aufgefasst und neu angesiedelt. Neue kreative, gewerbliche, industrielle und sozial-kulturelle Räume bilden eine neue Ortsmitte für Brünnlitz.

Heutzutage befindet sich die Fabrikanlage in einem weitestgehend heruntergekommenen Zustand. Der Bestand soll bei sinnvoller Nutzbarkeit weitestgehend bestehen bleiben und wenn möglich Instand gesetzt werden, damit der Charakter dieses historischen Ortes bestehen bleibt und nicht entfremdet wird. Mit dem Gedanken der „Angemessenheit“ soll eine ästhetische, nachhaltige Architektur geschaffen werden. Alle drei historische Gebäude, in denen die acht-monatige Geschichte der Schindlerjuden stattfand, dienen der respektvollen Veranschaulichung und Ausstellung der Familie Schindler und des damaligen Geschehens während des zweiten Weltkriegs vor Ort. Es wird keine architektonische Rekonstruktion des ursprünglichen Bauobjekts angestrebt, da die Fragmentierungen und Wunden der bestehenden Bausubstanz als neuer Ist- Zustand respektiert wird. Mit der bestehenden Bausubstanz gilt es, eine neue Symbiose einzugehen, jedoch keine Verschmelzung mit dem Bestand, da die Geschichte in ihrem Zustand und der Akt der Zerstörung aufbewahrt werden muss. Durch eine reine Rekonstruktion würden womöglich Grenzen verschwimmen und die Zeitlichkeiten verloren gehen.

„ Im Abdruck dessen, was einmal war, ist die Geschichte aufbewahrt.“

Die baulichen Objekte werden als Organismus angesehen, an dem vorsichtig und angemessen gearbeitet wird. Um den Gedanken der Konservierung zu verfolgen, gilt es, den Bestand und seine Schäden und Potentiale genauestens aufzunehmen und zu untersuchen. Je beschädigter der Zustand, desto notwendiger die Intervention. Die Maßnahme der Stabilisierung gilt als erste Intervention, um funktionstüchtige Innenräume zu schaffen.

Der Stellenwert von Bestandsgebäuden ist in der Architektur in der heutigen Zeit eine bedeutend höhere als vor einigen Jahren. Bestand als wertvolle Ressource eröffnet nicht nur materielle Fragen der Nachhaltigkeit, sondern unter vielen weiteren Aspekten auch den ästhetischen Diskurs eine ästhetische Nachhaltigkeit, die durch Spannungsräume zwischen bestehender, teilweise willkürlicher Bestandssubstanzen und neuer Architektur entstehen kann.

Mit dem Bestand zu arbeiten bedeutet, den „Organismus“ in einem ersten Schritt genau zu untersuchen, sprich mit ihm, gleich dem Kennenlernen einer Person, warm zu werden. Seine Charakterzüge, seine Altersfalten, seine Stärken, Schwächen, Wunden und Weitere Eigenschaften aufzunehmen und somit eine erste Dokumentation des Bestandes festzuhalten.

Die architektonische Behandlung bestehender Bausubstanzen stellt eine komplexe planerische Auseinandersetzung mit dem Bestand dar. Bei gegenwärtig funktionslos gewordenen Bauten, bei denen eine Wiederverwendung angestrebt wird, bedarf es einer präzisen Auseinandersetzung mit dem Vorhandenen, um einem ehrlichen Austausch zwischen Alt und Neu zu gewährleisten. Mit dem Bestand als Ressource zu arbeiten setzt voraus, dass eine genaue, wissenschaftliche Bauaufnahme vorangegangen ist. Diese dient als essentielle Grundlage für jegliche Entscheidung des folgenden Planungsprozesses.

Durch die Bauforschung werden wichtige Erkenntnisse über die Entstehung und die Geschichte eines Bauwerks gewonnen. Nicht nur die Ästhetik, sondern auch historisch bedingte Konstruktionen oder statische, technische und handwerkliche Qualitäten sind im Rahmen der Baufroschung auszuarbeiten.

Betrachtet man nun die Bauaufgabe „Schindlers Arche“ so wird die Komplexität der Arbeit mit bestehender Substanz umso deutlicher, da beim Industriekomplex neben den herausfordernden Themen der Baukonstuktion, Bautechnik, Statik, Bauphysik et cetera eine weitere fundamentale Komponente mitwirkt: die prägende Geschichte.

Die historische Bedeutung der Räume spielt für Schindlers Erbe eine fundamentale Rolle. Aufgrund der zeitlichen Distanz zu den damaligen Geschehnissen rückt die emotionale Empfindlichkeit der gegenwärtigen Generation in den Hintergrund. Auch das Versterben der Zeitzeugen trägt dazu bei, dass die Gräueltaten weniger greifbar sind. Durch die Digitalisierung soll dem entgegengewirkt werden. Jüngeren Generationen wird dadurch die erleichtert, sich die damaligen Umstände besser vorstellen zu können. Die architektonische Antwort auf diese Problematik ist, dass die Wohn- und Arbeitsräume der Schindlerjuden als Raum atmosphärisch roh gelassen und gesichert werden. Es gilt ein respektvoller Umgang mit den emotional aufgeladenen Gemäuern. Das „Raum bleibt Raum“ Prinzip zielt darauf ab, durch seine historischen Oberflächen und Materialien auf den Besucher zu wirken und einen gewissen Interpretationsfreiraum des Geschehenen offenzuhalten. Um der Historie respektvoll entgegen zu stehen, werden keine ursprünglichen Möblierungen und Objekte rekonstruiert.

In der neuen Gedenkstätte bildet das situative Lernen die Grundlage für das Besuchskonzept. Der Ort, die Akteur*innen, Exponate und szenografischen Settings bilden die Elemente, den Rahmen und die Bühnen situativer Settings. Mit Hilfe des Mediaguides werden Besucher*innen aufgefordert, sich aktiv mit den jeweiligen historischen Situationen auseinanderzusetzen, sich in verschiedene Positionen zu begeben und kritische Fragen zu beantworten. Sowohl auf dem Gelände als auch in den Ausstellungsräumen werden sie so zu Ermittler*innen auf den Spuren situativer Geschehnisse. Ob in der Gruppe oder als Einzelbesucher*in wandeln sie zwischen Dialogen, Zwiegesprächen und Widersprüchen und werden dabei aktiv in den Diskurs einbezogen.

Die erhaltenswerten Innenwände bleiben roh und zeigen die Geschichte auf.

Aufgrund der starken Dimensionen der Außenwände wird hier keine nachträgliche Dämmung vorgesehen. Die Bestandsbetondecken werden durch eine Trittschalldämmung und einen geschliffenen Sichtestrich ergänzt. Fußbodenheizung wird im gesamten Gebäude installiert.

Die neuen Lüftungsrohre bleiben sichtbar und ergänzen die noch teilweise vorhandenen Rohre aus der Industriezeit des Gebäudes. Die teilweise sehr maroden Dächer werden erneuert. Das Regenwasser wird in einer Zisterne gesammelt und das Grauwasser innerhalb des Gebäudes für die Bewässerung des Hortus Conclusus und die Toiletten genutzt.

Auf dem Dach der neuen Werkhalle im südlichen Teil des Gebiets wird PV installiert. Somit kann mithilfe des erzeugten Solarstroms Warmwasser erzeugt werden.