You Can Have It All – Repairing the Future of Production

Projektdaten

KategorieNachwuchs
Art der ArbeitMasterarbeit, Entwurf
BetreuerInKlaus Jan Phillip
PrüferInSonja Nagel
BearbeiterInDavid Ames
Studiengang/HochschuleUniversität Stuttgart, Architektur und Stadtplanung

Gebäudetiefe, Deckenhöhe und nicht zuletzt der Asbestestrich machen die nötige denkmalgerechte Sanierung finanziell unrentabel.Aus den Zeitschichten des Baus eröffnet sich jedoch ein anderer Blick auf das Problem. Die großen Kostenfaktoren Denkmalschutz, Asbest und Dämmung treten nur in zwei von drei Bauabschnitten auf. So ist der nördlichste Gebäudeteil in den Neunzigern mit moderne- ren Materialien realisiert worden und unterliegt nicht dem Denkmalschutz.

Hier setzt das Projekt an und schlägt eine experimentelle Nutzung vor, die mögliche Zukünfte für den restli- chen Bestand aufzeigt. Entlang einer inneren Urbanistik wird das Haus in viele kleinere Einheiten aufgeteilt. Die öffentliche Erschließungsplastik beginnt mit einem großzügigen Veranstaltungsbereich im Erdgeschoss und endet auf der grünen Dachterrasse, auf dem Weg schafft sie kleine gemeinschaftliche Orte. Sitztreppen und doppelgeschossige öffentliche Erschließungsflächen bieten Platz für Flexibilität und Begegnungen. Die denkmalgeschützen Bauabschnitte werden durch eine Asbestversiegelung ertüchtigt und bieten eine große Experimentier- und Freifläche.

Hier spiegelt sich der Umbau einer Fabrik zu einem öffentlichen Gebäude mit den veränderten Produktions- weisen einer postfossilen Gesellschaft. Es entstehen Räume für eine dezentrale, kooperative Produktion mit Fokus auf dem Entwickeln einer Reparaturkultur. Diese wird immer wichtiger in Kampf gegen die Klimakrise und kleinere Unternehmen können durch ihre Agilität und Kundennähe wettbewerbsfähig werden, wenn sie miteinander kooperieren. Diese Reparaturkultur spiegelt sich auch in der Architektur des Umbaus wieder.

Die Eingriffe sind zwar klar erkennbar, erzeugen jedoch keinen Kontrast, sondern vielmehr ein neues Ganzes. Durch subtraktive Schnitte erzählen sie auch von der Baugeschichte und Konstruktion. Die verwendeten Mittel sind auf Veränderbarkeit und auf die Möglichkeit zur Verwendung gebrauchter Materialen ausgelegt.

Mit einer Chance für die heutige Zeit

Die neuen Eingriffe verfolgen im Städtebau ein einfaches Konzept. Als Produktionsgebäude hatte der Bau F eigentlich zwei Rückseiten. Dem im Osten liegenden Wohngebiet zugewandt waren Parkplätze und der Zu- gang zum Verwaltungsgebäude, im Westen der große Hof, der aber alleine der Anlieferung zugeordnet war. Wenn jetzt aus dem Haus ein kooperativer Ort werden soll, der auch Menschen von außerhalb anzieht, braucht das Gebäude eine echte Vorderseite. Der Hof muss als öffentlicher Raum aktiviert werden. Dafür ist auch seine Positionierung eigentlich optimal. In den gegenüberliegenden Gebäuden an der Sieglestraße passieren jetzt schon einige Umnutzungen und der Weg vom Bahnhof führt auch direkt auf sie zu. Entfernt man die Zäune und Büsche entsteht auf einmal eine große Fläche die flexibel bespielt werden kann. Mit ei- nigen Straßenlaternen kann sie auch Nachts nutzbar gemacht werden, für Veranstaltungen und sonstiges. Das kleine Häuschen am ehemaligen Zugangstor kann dann zum Beispiel in ein kleines Kiosk oder eine Bar umgenutzt werden und mithelfen den Platz zu bespielen und ihn mit dem Straßenraum zu verbinden. Das Programm im Hof gibt bereits eine Vorschau auf die Atmosphäre im Haus selber. Die großen Freiräume er- möglichen temporäre Aneignung und laden alle dazu ein sich hier aufzuhalten, gleichzeitig treffen hier aber auch die öffentlichen Funktionen auf die produktiven Notwendigkeiten, sodass es sein kann das während einem Kaffee auf der Terrasse in direkter Nachbarschaft der Lastwagen ausgeladen wird.

Um die Verbindung zum Hof zu stärken wird im 91er Bauabschnitt das Vordach an der Westfassade entfernt, wodurch ein klarer Eingang ersichtlich wird. Die Potenziale des Bauabschnitts von 1991 konnten bereits in der Recherche gesehen werden. Somit ist es nur folgerichtig mit einer Transformation genau an dieser Stelle anzusetzen.      Und versteht man Umbau nicht als einen einmaligen Akt, sondern als Teil eines stetigen Pro- zesses welcher seit der Fertigstellung des Baus im Gange ist, kann man auch ungeahnte Vorteile im Ignorie- ren des Rests von Bau F sehen. Wie bei Lucius Burckhardts Konzept vom kleinstmöglichen Eingriff kann die Intervention so zu einem Anfang eines Prozesses werden, dessen Verlauf noch nicht absehbar ist und eine Determination aller Schritte im Vorhinein deshalb zum Scheitern verurteilt ist. Die Eingriffe im 91er Abschnitt können als reales Experiment für die Transformation der älteren Bauabschnitte gesehen werden und sind zugleich aber auch der Anfang für ebendiese. Ist das Gebäude wieder mit Leben gefüllt, steigt auch automa- tisch das Interesse das gesamte Haus wieder zu benutzen. So ist vielleicht auch wieder eine Bereitschaft da um die aufwendigeren Sanierungsmaßnahmen, wie die Arbeit an der denkmalgeschützen Fassade oder das Entfernen des Asbests, zu finanzieren. Diese Eingriffe können dann wieder aus dem bereits Umgebauten lernen und gleichzeitig die bereits geschaffene Infrastruktur in diesem Teil mitnutzen.

Eine Neue Reparaturkultur

Als Investition in die Zukunft versteht sich auch die Art der Arbeit welche in dem Gebäude einen neuen Platz findet. Reparaturarbeit gewinnt nicht nur wegen der Klimakrise an Bedeutung, sondern ist auch eine Produk- tionsform, welche eine Zukunft in innenstadtnahen Lagen hat. Viele Formen der Reparaturarbeit haben schon immer mehr mit kleinen, selbst- ständigen Betrieben zu tun gehabt als mit großen Firmenstrukturen. Die Arbeit der meisten Menschen die sich mit Reparatur beschäftigen ähnelt eher der auf einem Schrottplatz als der in einer High Tech Fabrik. Reparaturarbeit die große Firmenstrukturen benötigt ist deutlich seltener, selbst lokale Handyshops sind effizienter darin alte Mobiltelefone wieder in Benutzung zu bringen als große Konzerne wie Apple.

Kleinere Betriebe können viel selbstständiger agieren als Mitarbeiter einer großen Firma, so können sie un- konventionelle Wege wählen um die oft komplexen Aufgaben der Reparatur effizient zu bewältigen. Hat ein Gerät etwa einen ungewöhnlichen Defekt wird es bei einem großen Unternehmen der Wirtschaftlichkeit we- gen aussortiert. Kleinere Betriebe geben hier nicht so schnell auf, da sie flexibler sind auch aus Interesse an der Sache selbst kleine wirtschaftliche Risiken einzugehen. Ihr Wettbewerbsnachteil ist oft das Fehlen einer wiedererkennbaren Marke und die Schwierigkeit beim Tätigen großer Investitionen. Dafür sind sie jedoch oft schon sehr gut vernetzt. Diese Vernetzung könnte doch aber auch genutzt werden um sich zusammenzu- schließen und ähnliche Skaleneffekte wie bei großen Unternehmen zu nutzen. Platz genug ist dafür in den vom Strukturwandel zurück- bleibenden leeren Fabriken. So kann auch eine Stadt entstehen, die Produktion nicht als etwas Externes, einen Ort ausschließlich der Arbeit gewidmet, sieht. Neben den Vorteilen kürzerer Wege und lebendigerer Räume, entstehen so auch Orte mit starker Identität.

Begegnungsorte der Produktion

Der Fokus der ersten Interventionen für eine Transformation des Bau F liegen deshalb sicher in den öffentlichen Erschließungsräumen und ihrer Nutzung als Begegnungsort. Der Kontrast zum Bestehenden wird be- sonders stark wenn man sich die dunklen, niedrigen Räume, ohne Verbindung zu andern Geschossen, des Bestands anschaut. Durch die neuen Öffnungen und Treppenarchitekturen wird Offenheit erzeugt. Und trotzdem verliert das Stahlbetonskelett nichts von seiner Rauheit, sondern wird durch die Eingriffe noch viel unmittelbarer erfahrbar. Die schmalen Profile der neuen Einbauten fühlen das Filigrane der Bestandsfassade nach. Dies führt zu einem neuen Gesamtbild welches offen zeigt was neu und was alt ist. Jedoch entsteht kein Kampf zwischen dem Neuen und dem Alten, sondern ein neues Ganzes, weder nur neu noch nur alt.

Die neuen Eingriffe in das Gebäude heben sich durch die verwendeten Materialien und Farben vom Bestand ab und machen so lesbar was neu und was alt ist. Im Bestand ist vor allem das Blau der Fassade und die roten Metallelemente der Erschließungstürme dominieren mit einzelnen Akzenten in Gelb.

An Materialien sind hauptsächlich Stahl und Betonoberflächen erkennbar. Die Interventionen arbeiten dahin- gegen viel mit Holz für flächige Elemente und Metall für alles filigrane. Sind die Farben im Bestand eher ein Akzent auf einer großen grauen Betonfläche, kommen naturbelassene Materialien in den Interventionen nur selten in kleinen Mengen vor. Dies nimmt dem Haus ein wenig seine graue Ernsthaftigkeit und ermöglicht es aber auch imperfekte, gemischte Ressourcen zu nutzen und diese nachher durch eine Farbe zu vereinheitli- chen. Dominierend ist hier vor allem Grün als Ergänzung zum Blau, Rot, Gelb des Bestandes. So entwickelt auch die Fassade eine Mehrfarbigkeit durch den neuen Sonnenschutz und die Glasfassade im Erdgeschoss. Subtraktive Einschnitte in die Struktur des Bestands wiederum sind durch ihre Ornamentik gekennzeichnet. Sind alle Betondetails im Bestand in hochpräziser Einfachheit ausgeführt, so zeigen die neuen Einschnitte auf der einen Seite klar die Spuren ihrer Arbeit und erlauben auch einen Einblick in die Konstruktionsweise des Gebäudes. Wird an einem Rippendeckenfeld entlang geschnitten bleibt ein minimaler Rest dieses Fel- des stehen und erzeugt eine Art Fries. Wird jedoch massiver Beton geschnitten erzeugen repetitive Bohrun- gen eine Oberflächenstruktur die ganz intuitiv von der Massivität des Materials erzählt.

Alle neuen Elemente sind auch so gestaltet, das sie selber wieder leicht verändert werden können. Ihre Fle- xibilität soll allerdings sicherstellen, das sie möglichst lange nützlich bleiben können. So können die Schiebe- tore einerseits genutzt werden um die Werkstatt ganz zum Erschließungsraum zu öffnen oder es können nur einige Elemente wie bei einer normalen Eingangstür aufgeschoben werden. Benötigt man zusätzliche Wär- me in den Einheiten können die Räume zwischen den Holzständern nachträglich gedämmt werden. Die Trennungen zwischen den Werkstätten selber sind natürlich auch flexibel veränderbar um größere und klei- nere Einheiten zu ermöglichen, obwohl die Grundrissstruktur an sich dort schon eine Abstufung von größe- ren Einheiten in den unteren Geschossen und kleineren Einheiten in den oberen Geschossen anlegt.